Sind Geothermieheizkraftwerke eine „wahre Versorgungsschande“?
Am 29.6.2010 erreichte uns folgender Leserbrief von Herrn Dr. Thomas Reif von der GGSC:
Sehr geehrter Herr Jech,
mit einigem Bedauern habe ich gesehen, dass Sie einen wohl zeimlich eilig recherchierten Beitrag von Herrn Dr. Saur zum Wärmeprojekt Vaterstetten bereithalten. Ein Wärmeprojekt mit einer dort behaupteten (fossilen) Spitzenabdeckung von etwa 25% wäre eine wahre Versorgungsschande!
Kein vernünftiges Geothermie-Konzept fährt nachhaltig mehr als 10% Spitze konventionell, der Regelfall liegt bei ca. 5%. Selbst wenn man das ökologische Gewissen außer Acht ließe, wäre anderes ökonomisch wenig sinnvoll. In der Netzaufbauphase liegt der Anteil sogar darunter bzw. bei 0%. Der Energieaufwand (Strom) für Förderpumpen und den Netzbetrieb liegt ebenfalls nur in Größenordnungen von 5-8%, was mittleren Jahresarbeitszahlen von ca. 1:14/15 entspricht. Ohne Netz beträgt das Verhältnis ca. 1:25. Dabei sind auch schon alle Transportversluste enthalten. Ich wünschte, alle Haushalte besäßen einen Wärmemengenzähler und könnten so ablesen, dass die modernste Heizung mit dem besten Wirkungsgrad im Regelfall dennoch nur einen Jahresnutzungsgrad von ca. 85% erzielt. Und dass die Versorgung mit hohen Investitionen einhergeht, ist leider ein Markenzeichen vieler erneuerbarer Energien, da es primär um Heizen mit Kapital, statt Heizen mit Brennstoff geht. Daher muss man besonders gründlich rechnen, wenn ein großes Transportnetz zwischen Gemeinden nötig ist. Dennoch bleib eine zentrale Versorgung der einzige Weg, um schnell großflächige Besiedlungsteile CO2-schonend zu versorgen. Zentral und dezentral schließen sich zudem nicht aus. So wie zur Umstellung der Energieversorgung in Deutschland eine Kombination aller EE nötig sein wird, so wird dies auch für eine Kombination der Versorgungskonzepte gelten. Eine derart schliche Darstellung – wie in dem von Ihnen veröffentlichten Beitrag – wird den komplexen Fragestellungen jedenfalls nicht gerecht. Diesen Stil haben die “klassischen” Versorger kreiert. Schade, dass dies ausgerechnet eine Bürgerinitiative nachahmen muss, wenn es darum geht, Energieversorgung in kommunale, also in Bürgerhand zu legen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Reif, http://www.ggsc.de
Herr Dr. Thomas Reif ist seit 2009 Partner bei der Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. (GGSC) In Berlin. Ein Tätigkeitsschwerpunkt der Kanzlei ist die Geothermie. Sie ist Mitglied im „Netzwerk für Geothermiekompetenz“. (Herr Gaßner ist Präsident des Bundesverbands Geothermie.)
Die GGSC-Treuhand GmbH ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die in enger Kooperation mit dem Anwaltsbüro Gaßner, Groth, Siederer & Coll. arbeitet.
www.ggsc-treuhand.de/thomas-reif.html
Die Antwort von Herrn Dr. Saur auf den o.g. Leserbrief:
Sehr geehrter Herr Dr. Reif,
im Namen der Bürgerinitiative danke ich Ihnen für das Interesse, das Sie als ein bedeutender Vertreter der Geothermie-Lobby dieser Webseite entgegenbringen.
Sie werfen mir einen „eilig recherchierten“ Beitrag vor. Leider entsprechen die Zahlen, die Sie in Ihrem Schreiben nennen, erst recht nicht Ihrem Anspruch auf Nachprüfbarkeit.
Die folgende Graphik der Firma Evonik zeigt beispielsweise die Heizlastkurve („Jahresdauerlinie“) des „Geothermie“-Heizkraftwerks Erding:
Demnach stammen etwa 65 % (!) der eingesetzten Energie nicht aus Erdwärme, sondern vom fossilen Energieträger Erdgas, der in der Graphik zutreffend als „Primärenergie“ bezeichnet wird. Wenn Sie das als eine „wahre Versorgungsschande“ bezeichnen wollen, dann haben Sie zweifellos Recht. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem „Geothermie“-Heizkraftwerk um eine Fossilheizung mit ein wenig Geothermie.
Das folgende Prinzipschaltbild, ebenfalls von Evonik, zeigt die Beiträge der unterschiedlichen Wärmequellen im Einzelnen.
Im realisierten Fernwärmenetz „Erding 1“ mit 30 MW Spitzenleistung stammen lediglich höchstens 3,9 MW der Wärmeleistung aus tiefer Erdwärme. Der Rest wird im Wesentlichen mittels zweier Gasheizkessel und einer gasbetriebenen Wärmepumpe (AWP) erzeugt.
Die folgende Tabelle der Firma Geox zeigt, daß bei allen sogenannten „Geothermie“-Heizkraftwerken in Deutschland die dominante Heizleistung nicht aus der tiefen Geothermie stammt, sondern aus anderen (fossilen) Quellen (die geothermale Heizleistung in Erding ist in der Tabelle sogar viel zu hoch angegeben, s. oben).
Meine Angabe des Fossilenergieanteils von 25% in üblichen „Geothermie“-Fernwärmenetzen liegt somit eher an der unteren Grenze. Sie beanstanden daher diese Zahl zu Unrecht. In Erding wird nachweislich sogar fast das Dreifache davon benötigt.
Zudem gehört die Geothermie nicht zu den „erneuerbaren“ Energien, wie Sie behaupten. Der natürliche Wärmestrom durch die Erdkruste beträgt etwa 0,06 W/m2.
Geothermiekraftwerke fördern das 100 – 1000fache dieses Wertes. Im Ingenieurwesen wird daher korrekterweise vom „Wärmeabbau“ gesprochen – das ist Raubbau.
In der Tat kann man daher die Geothermie als „Heizen mit Kapital“ umschreiben, wie Sie zu formulieren belieben, denn es erscheint hochgradig fragwürdig, ob sich die massiven Investitionen jemals amortisieren werden. Das Beispiel Unterhaching zeigt, das es sich wohl eher um eine Kapitalvernichtungsanlage handelt.
Die echte regenerative Energieversorgung ist dezentral. Es wird zunehmend attraktiver, Wohnhäuser technisch so auszulegen, daß keine externe Energieversorgung (und kein laufender Kostenaufwand) mehr erforderlich ist. Dies ist im Gegensatz zur tiefen Geothermie zu sehen, wo die Kosten laufend steigen.
Übrigens: Eine moderne, richtig ausgelegte Gasbrennwertheizung hat einen Nutzungsgrad von über 95%. Eine zentrale Fernwärmeversorgung liegt hingegen in der Regel unter 70%.
Falls Sie Interesse haben, möchte ich Sie gerne einladen, anhand eines praktischen Beispiels zu besichtigen, wie echte regenerative Energieversorgung funktioniert und mit welchen technischen Mitteln zukünftig eine echte energetische Autarkie erreicht werden kann. Die Kosten sind bedeutend niedriger als die einer Versorgung mit Wärme und/oder Strom aus der tiefen Geothermie. Es ist daher keineswegs ein “Markenzeichen” der regenerativen Energieversorgung, daß sie hohe Investitionen erfordert. Dieses Alleinstellungsmerkmal gebührt mittlerweile nur der tiefen Geothermie, die unter den geologischen Verhältnissen in Deutschland schlicht unsinnig ist. Die dezentrale, echte regenerative Energieversorgung wird sich durchsetzen, nicht weil wir damit die Welt retten wollen, sondern weil sie schlicht die kostengünstigste Lösung darstellt.
Vielleicht ist es ja möglich, Sie vom Irrweg der tiefen Geothermie abzubringen.