"Die Parteien sind Konzerne geworden" / Die Umwandlung von Partikularinteressen in Gesetze

Reinhard Jellen 27.01.2012

Mathew D. Rose über die intime Verflechtung von Politik und Wirtschaft in der Berliner Republik

Seit der rot-grünen Bundesregierung hat sich nicht nur die politische Ausrichtung der Parteien in Richtung Wirtschaft verlagert – auch die Parteien selber werden heutzutage wie Dienstleistungsunternehmen betrieben. Dies wird nicht nur durch die „Nebentätigkeiten“ der Politiker und ihre hurtige Übernahme in die Wirtschaft betrieben, sondern auch über ein verdecktes Spendensystem, das „Sponsoring“ gewährleistet. Der investigative Journalist Mathew D. Rose hat dies in seinem Buch „Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“ erstmals aufgezeigt.

Auszüge

Mathew D. Rose: Ich schreibe in meinem Buch, dass die politischen Parteien in der Bundesrepublik immer weniger mit Gesellschaftsgestaltung oder Ideologien zu tun haben. Sie sind ein Wirtschaftszweig geworden, eine gewinnorientierte Dienstleistung, die einen Service anbietet: die Umwandlung von Partikularinteressen in Gesetze. Sie haben auch viel im Angebot: Förderungen, Subventionen, Steuerbegünstigungen, wirtschaftlich vorteilhafte Bestimmungen und jährlich rund 40 Milliarden Euro in Aufträgen von Bundes-, Landes- und Kommunalregierungen.

Die Parteien sind Konzerne geworden. Insgesamt verfügen diese Parteiunternehmen über Jahresumsätze in Milliardenhöhe und beschäftigen, konservativ berechnet, direkt und indirekt rund 20.000 Menschen.

Die Führungsmitglieder der Parteien verhalten sich ihren Parteien gegenüber nicht mehr loyal – geschweige denn dem Volk gegenüber. Sie sehen sich als Manager und sind fixiert auf ihre Karriere und Selbstbereicherung. Wer es zum Bundeskanzler, Ministerpräsidenten, Minister, Staatssekretär oder einflussreichen Parlamentarier gebracht hat, weiß diese Macht bis in die Millionenhöhe zu verwerten – während und nach der politisch aktiven Zeit. Der politischen Klasse ist das Gemeinwohl und die Partei relativ egal. Sie verhalten sich wie die Banker: maximale persönliche kurzfristige Bereicherung und nach mir die Sintflut.
(…)

Sponsoring ist nur ein weiteres Element der Kommerzialisierung der Demokratie. Die Nachteile für die Öffentlichkeit liegen auf der Hand: Die Steuerzahler subventionieren die Lobbyarbeit der Unternehmen und die Parteien, die das Geld von den Sponsoren kassieren. Der Prozess ist völlig intransparent. Die Unternehmen haben dadurch einen großen Vorteil gegenüber dem Wähler, weil sie sich mit Geld den unmittelbaren Zugang zu den Parteigranden erkaufen.
(…)

Wäre es der Justiz möglich, die Symbiose aus Politik und Wirtschaft zu unterbinden?

Mathew D. Rose: Darüber braucht man nicht zu spekulieren. Zumindest in Berlin nicht. Man debattiert hier, ob die Staatsanwaltschaft so ineffektiv ist, weil sie inkompetent oder korrupt ist.

Man darf ebenfalls nicht vergessen, dass deutsche Staatsanwälte weisungsgebunden sind. Die meisten Richter haben ihr Fortkommen ihrem Parteibuch zu verdanken. Was sind das für Zustände in einer Demokratie?
(…)

Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf das Wahlverhalten und das Demokratieverständnis der Bevölkerung?

Mathew D. Rose: In Deutschland sinkt die Wahlbeteiligung unablässig. Auch angeblich interessante Wahlen (wie neulich in Baden-Württemberg) haben diesen Trend kaum aufhalten können. Bei den nächsten Wahlen für das Europaparlament wäre es nicht verwunderlich, wenn die Wahlbeteiligung die 40 Prozent unterschreitet. Viele Deutsche glauben nicht mehr an die Parteiendemokratie und partizipieren deswegen daran nicht.

Auf der anderen Seite gibt es immer noch eine sehr lebendige demokratische Landschaft in der Bundesrepublik. Es existiert eine Vielzahl von Bürgerinitiativen, einige davon sind sehr stark, wie etwa die Gegner von Stuttgart 21. Das fand ich sehr beeindruckend. In Brandenburg haben Bürgerinitiativen neulich das CCS-Pläne zu Fall gebracht – trotz eines massiven Einsatzes seitens des Wirtschaftsministers Christoffers von der Linkspartei. Nicht vergessen werden darf auch der wachsende Einfluss von NGOs wie Lobby Control, Abgeordnetenwatch.de und Mehr Demokratie, die sich explizit für die Demokratie einsetzen. Außerdem findet man im Internet sehr viele interessante politische Blogs.